Zeichnungen Michelangelos

„EXISTIERT DENN KEIN PORTRÄT MICHELENGLOS VON IHR?“

Diese Frage stellte sich im neunzehnten Jahrhundert dem Historienmaler Cesare Maccari, als er Vittoria malen sollte. Er löste das Problem, indem er sie durch ein Modell ersetzte. Ein Gedicht Michelangelos in der Hand der Frau genügte, um sie als Vittoria Colonna auszuweisen. Genauso verfuhr bereits zu ihren Lebzeiten Sebastiano Piombo, der laut Vasari Vittoria Colonna gemalt haben soll. Doch er ersetzte sie durch ein Modell. Die Schöne weist sich ebenfalls durch Fingerzeig auf ein Gedichtbändchen aus. Weshalb malte Piombo Giulia Gonzaga, aber nicht Vittoria Colonna? Die Antwort ist einfach: Sie entsprach nicht dem Schönheitsideal ihrer Zeit, das der männlich imaginierten Weiblichkeit der Renaissance entsprang und sich an süßen Madonnen orientierte. Bereits der  maliziöse spanische Biograph Alicarnasseo stellte fest:“Als jene sich mit einem solchen Mann ehelich verbunden sah, förderte sie ihre Geistesgaben schon deshalb, weil sie keine große Schönheit war.“

Bembo ist von Vittorias Sonett an ihn so begeistert, dass er sie kennenlernen möchte- É il maggiordisiderio che io abbia.Vittoria erbittet sich von Bembo ein Porträt. Er schickt ihr eine Medaille mit seinem Bildnis, das ihm gar nicht ähnlich sehe. „Aber der Wunsch, Euer Bild zu bekommen, hat mich nicht auf die Qualität meines Bildes schauen lassen. Ich hoffe, dass Ihr mir nicht abschlagt, worum ich Euch sehnlichst bitte: desideriosissime. Acht Monate später schreibt Bembo an ihren Sekretär, er warte immer noch auf ihr Porträt. Am 10. Mai meldet er: „Ich habe das Bildnis der Marchesa bekommen.“ Ohne Kommentar! Zwei Monate später erst bedankt er sich mit einer Entschuldigung und bittet sie in Zukunft in seinen Briefen meist um Gefälligkeiten.

UND MICHELANGELO?

ER PORTRÄTIERTE SIE NICHT:

ER ZEICHNETE SIE!

DIE LONDONER AUSSTELLUNG MICHELANELOS DRAWINGS CLOSER TO THE MASTERBRITISCHES MUSEUM 2005

Identifizierte Vittoria Colonna in den Zeichnungen Michelangelos nicht. Es war in den Legenden lediglich die Rede von ideal heads und the half-length figure of a woman. Michelangelos ergreifende Zeichnung, die Vittoria Colonna im Halbprofil zeigt, wurde als head of a young man präsentiert, wenn auch mit einem Fragezeichen versehen.

Dieser erneute Identitätsverlust Vittoria Colonnas nach ihrer ohnehin schemenhaften Überlieferung war eine weitere deprimierende Erfahrung, wirkte aber auch als Ansporn:

Präzise Beschreibung der Gesichtszüge Vittoria Colonnas von Paolo Giovio

Bei meinem Studium der Dialoge des Paolo Giovio, des großen Biographen der Renaissance,

dessen detaillierende Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes Vittoria Colonnas auf persönlicher Bekanntschaft beruhte –Er wurde ein halbes Jahr lang während des Sacco di Roma von ihr auf der Burg in Ischia beherbergt– stieß ich auf eine teils stereotype aber auch teils präzise Beschreibung ihrer auffälligen Physiognomie:

Paolo Giovio:

Ihre Augen sind schwarz, wie von glänzendem Elfenbein umrandet, sie ähneln den Augen der Venus, sind aber nicht kokett, sondern schön durch liebevollen Frohsinn und glitzernde Lichter. Durch Augenlider werden sie geschützt. Ihre Augenbrauen stoßen nicht aneinander, Zeichen einer ehrbaren Stirn. Sie sind leicht geschwungen und laufen in elegant krönenden Bögen allmählich aus. Ihr Gesicht umspielt ihr Haar, schwarz wie Ebenholz mit darin verwobenem Gold, wie nach Meinung der Dichter das Haar der Leda gewesen sein soll. Vom zarten Scheitel aus sich über die Schläfen ergießend, sanft schimmernd, mit feinem Haaröl gezähmt, damit keine Strähnen keck hervorlugen, ziert es die breite, freie, heitere Stirn. Darunter liegen die in schamhafter Röte und milchiger Süße erglänzenden Wangen. Sie treten in froher Linie zurück bis zu den kurzen Ohren mit den nicht angewachsenen Ohrläppchen, die auf exakte Urteilskraft schließen lassen. Wenn dort auch wundersame Edelsteine und Perlen hängen, kehrt der Blick des Betrachters doch sogleich zu ihnen zurück.

Und welche Lieblichkeit liegt nicht in ihrer Nase, die von der Stirn in zierlicher Linie wegführt und ein Zeichen für Anstand und königliche Würde ist, wie bei dem persischen Geschlecht der Arsakiden! Die Natur hat zu ihrer Zierde einen kleinen Hügel in ihrer Mitte mehr angedeutet als ausgebildet und das so maßvoll und geschickt, dass durch etwas, das doch männliche Herbheit andeutet, der weiblichen Lieblichkeit keinerlei Abbruch geschieht. 

Stereotype Lesearten der Physiognomie, dass zum Beispiel nicht angewachsene Ohrläppchen auf Urteilskraft schließen lassen, ergänzt Giovio durch subjektive Eindrücke von Vittoria. Vittorias Frohsinn, den Giovio nicht wie üblich in ihren Augen liest, sondern in der Haltung ihres Nackens erspürt, war nicht spöttisch kokettierend oder narzisstisch vereinnahmend, sondern liebevoll, in der Haltung des Nackens sichtbar, den Menschen zugewandt.

Die auffällige Nase erinnert Giovio an die persische Dynastie der Arsakiden. Seine präzise Beschreibung wird in Michelangelos Zeichnung von Vittoria bestätigt. Michelangelos Profil von Vittoria Colonna wirkt nur auf den ersten Blick griechisch, ist aber streng genommen nicht klassisch; denn Michelangelo fasst die Besonderheit ihres Profils in eine leicht von der Geraden (griechisch!) abweichenden Linienführung von Stirn und Nase. Giovio sucht den ausgefallenen Vergleich von Vittorias Nase mit den Nasen der Arsakiden. Griechische Nasen sind idealisiert und typisch. Eine arsakidische Nase sucht ihresgleichen!

Es kann doch nicht sein, dass,

MICHELANGELO

der bekannte:

Jenseits eitlen Verlangens begeistert mich ihr schönes Gesicht, so dass ich den Tod in jeder anderen Schönheit erblicke 

oder:

Ach, verwandle meinen ganzen Körper in ein einziges Auge, damit an mir kein Stück sei, das dich nicht zu genießen vermöge,

 

Vittoria in seinen Zeichnungen idealisiert haben soll.

 

Auch wenn er sie aus gutem Grund nicht porträtierte, ließ erihre bezaubernden Gesichtszüge in seine Zeichnungen einfließen.

 

files/sonette/4.jpg

©TRUSTEE British Museum London, AN200168001, Mit schriftlicher Genehmigung des Museums

 

DER ANDROGYNE ZUG IN IHREM GESICHT

Unabhängig voneinander stellen beide, Giovio und Michelangelo, den androgynen Zug ihrer Schönheit und ihres Wesens heraus. Giovio entdeckte den leicht männlichen Zug nicht nur in dem kleinen Hügel ihrer Nase, sondern auch im männlichen Dekor ihrer Dichtung.

Und auch Thomas Mann hob Michelangelos Vorliebe für „solche Wesen“ hervor, in deren Antlitz sich Männliches und Weibliches  auf eine göttliche Weise vereinte: „ wie in der wundersamen Zeichnung, die er von der Colonna entworfen: mit dem seelenvollen, vor Seelenfülle berstenden Auge und dem starken, üppig-schön geformten Mund. Man kann wohl sagen, dass kein Werk von seiner Hand, auch die Gedichte nicht, die in ungeheurer Sinnlichkeit verwurzelte Übersinnlichkeit seiner Erotik wiedergibt.“ 

Eine offizielle Zeichnung mit einem (verlorenen) Pendant ihres Gatten

Im Vergleich zu den beiden anderen spontanen Zeichnungen Michelangelos von Vittoria Colonna haftet dieser Profilzeichnung trotz der seelenvollen Augen und ihres sinnlichen Mundes eine gewisse leblose Steifheit an. Vittoria scheint  die beherrschte Haltung einer Aristokratin bei offiziellen Anlässen ein zu nehmen. Tatsächlich handelt es sich um ein Auftragswerk zu Lebzeiten ihres Gatten. Dass Michelangelo auch von ihm eine Zeichnung schuf, die verloren ging, lässt sich daraus schließen, dass der Kupferstecher Antonio Tempesta im Jahre 1613 noch von beiden Zeichnungen Kupferstiche anfertigte, die sich in der graphischen Sammlung der Albertina in Wien erhalten haben. Tempesta wies in Legenden daraufhin, dass die seinen Kupferstichen zugrunde gelegten Zeichnungen von Michelangelo angefertigt wurden.

Der offiziellen Zeichnung fehlt als Auftragswerk die Spontaneität der persönlichen Zeichnungen Michelangelos von Vittoria Colonna. Obgleich er ihr das mit Perlen und Edelsteinen kunstvoll besticktes Käppchen in ihr prachtvolles Haar drapierte und ihren Zöpfen seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmete, nervte ihn das prunkende Gehabe seiner Marchesa. Jedenfalls liest sich eines seiner Gedichte wie ein spöttischer Kommentar zu dieser Zeichnung:

Lezzi, vezzi, carezze, or, feste e perle,

chi potria ma‘ vederle

 

Schmuck, Halsketten, Schmeicheleien, Gold, Feste, Perlen

Wer nimmt den Tand wahr,

da sie Göttliches schafft?

Woher nehmen oder verdoppeln Gold und Silber ihren Glanz?

Jeder Edelstein empfängt mehr Licht von ihren Augen

als aus eigenem Vermögen

files/sonette/6.jpg

©TRUSTEE Ashmolean Museum Oxford WA 184661 - Mit schriftlicher Genehmigung des Museums

 

 

 

Schuf Michelangelo jemals eine innigere Zeichnung

als diese Zeichnung von Vittoria Colonna im Halbprofil?

 

Die Züge der mageren jungen Frau stimmen wieder mit der Personenbeschreibung durch  Paolo Giovio überein. Ein augenfälliges, von Michelangelo liebevoll elaboriertes Detail ist das hübsche Ohr mit dem Ohrring, der auch Giovio auffiel: „ Obwohl wundervolle Perlen und Juwelen dort hängen, faszinieren den Betrachter nur die schönen Ohren.“

 

Michelangelo betont die androgynen Züge Vittoria Colonnas, mildert sie aber zugleich in einem feinen Linienarrangement ihres Gesichts, das die physische und psychische Fragilität der jungen Frau und die zärtlichen Gefühle des Zeichners für sie spüren lässt. Michelangelo konnte ja seinen Blick nicht von ihrem schönen Gesicht abwenden: „Von nah und fern können meine Augen sehen, wo sich dein schönes Gesicht zeigt.“ 

 

 Ihr Gesicht – es sei nochmals daran erinnert – faszinierte ihn so sehr, dass er den Tod in jeder anderen Schönheit erblickte. Um seine Wahrnehmung dieser einzigen Frau zu vervielfachen, hätte er am liebsten seinen ganzen Körper in ein einziges Auge verwandelt.

 

Doch die wundersame Zeichnung ist kein Porträt, sondern ein Inbild. Michelangelo introvertierte den Blick der jungen Frau. Ihre innere Unruhe, die der Zeichner in kurzen schraffierten Linien auf Turban und Gewand nachklingen lässt, hat Vittoria zwischenzeitlich in ergreifende nachdenkliche Gefasstheit gebändigt, die ihr Gesicht ausstrahlt. Diese Gefasstheit, in der sie ihre emotionale Erregung  zur Ruhe zwang, faszinierte Michelangelo  und inspirierte ihn zu dieser ergreifenden Zeichnung. Dennoch bleibt der Eindruck ihrer inneren Zerrissenheit, die ihren Blick nach innen zieht. “Zartheit, Bescheidenheit, Stolz und Trauer, aber auch eine Aura von Kraft“, teilte sich einer Betrachterin mit.

 

 

Michelangelos spontane Zeichnung

der Jungen Witwe

 

 

 

Die Gesichtszüge der jungen Frau stimmen mit den anderen beiden Zeichnungen, die Michelangelo von Vittoria Colonna schuf, überein. Die Zeichnung in schwarzer Kreide wird in das Jahr 1525, datiert, in dem Vitoria verwitwete. Anstelle des aufwendigen Kopfputzes hat sie nun einen Schleier um den Kopf gebunden. In einem Brief an die Herzogin von Urbino dankt sie  für ein Geschenk dieser Schleier. „ Sie sind genauso, wie ich sie mir wünsche.“ Ihre kostbare Brokatrobe hat sie nun mit einem schlichten Kleid vertauscht, in dem sie einem Bürger in Ferrara auffiel: „.Heute Morgen besuchte die Marchesa von Pescara die Herzogin in einem schlichten Kleid.“ 

 

Wieder introvertierte Michelangelo den Blick Vittorias, um ihren inneren Kampf gegen Verzweiflung und suizidale Neigungen, ihr Aufbegehren gegen den Tod ahnen zu lassen. In ihrem vom Zeichner sorgsam ausgeführten Gesicht drückt sich indes auch eine tapfere, gefasste Haltung aus, mit der sie gegen ihre Niedergeschlagenheit ankämpft, auch eine Spur von stolzer Selbstbehauptung, die ergreifend mit der einsamen, fragilen Gestalt der jungen Witwe kontrastiert. 

 

files/sonette/2.jpg

©TRUSTEE Britishes Museum ,London . AN 18318001

Mit schriftlicherGenehmigung des Museums

 

 

 

Warum porträtierte Michelangelo Vittoria Colonna nicht?

 

Nach der Vertiefung in seine wundersamen Zeichnungen fällt die Antwort leicht. Ihn faszinierte die Spiegelung ihres Innenlebens in ihrem Gesicht und in ihrer Körpersprache.

Er verwarf das Porträt wegen der inneren Statik der Porträtierten, wegen ihrer gewollten Haltung, wegen des intendierten Eindrucks und der geringeren Authentizität. 

 

Er bevorzugte die Zeichnung für Vittoria Colonna wegen der expressiven Möglichkeiten, wegen der Spontaneität, der Unmittelbarkeit, der Lebendigkeit der Unwiederholbarkeit des Augenblicks, den er in den Zeichnungen festhalten konnte.